Gedanken zur Situation der Street Photography in Deutschland

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Allgemein
photography is not a crime

Street Photography boomt und erlebt durch Blogs und junge Fotografen einen neuen Aufschwung. Aber rechtlich ist der Street Fotograf in einer schwierigen Situation, was zumindest in Deutschland die Straßenfotografie zum Teil verhindert. Mit dem Verschwinden der Street Photography geht ein wichtiges Werkzeug der Dokumentation verloren. Darum brauchen wir einen entspannteren Umgang mit dieser Art der Fotografie.

Der Street Photography Fotograf befindet sich in einem stetigen Spannungsfeld zwischen der Kunst, den rechtlichen Rahmenbedingungen und den Vorstellungen der Gesellschaft. Anhand dieser drei Aspekte möchte ich Euch die Schwierigkeiten der Straßen-Fotografie hierzulande darlegen. Ganz zum Schluss beantworte ich die Frage, warum das Ver- oder Behindern der Dokumentation aus meiner Sicht zu einem kulturellen Verlust führt.

Was ist Street Photography?

Um abzustecken, worüber wir hier reden, eine Begriffsklärung. Unter Street Photography versteht man die ungestellte Dokumentation des Lebens von Personen auf der Straße. Der urbane Raum dient als Bühne, auf der die Menschen ihrem Alltag nach gehen. Oft wohnt der Street Photography ein humoristisches Element inne, was mit der Dokumentation der (zwischen)menschlichen Eigenheiten einher geht. Dabei stellt sie das Individuum nie bloß, sondern zeigt, was da ist, das ungeschönte Leben quasi.

Stilistisch zeichnet sich die Street Photography durch kurze Brennweiten, eine große Schärfentiefe und die Konzentration des Hauptmotivs auf die Bildmitte aus. Die Bilder sind typischerweise in Schwarz-Weiß und mit starken Kontrasten versehen. Die Street Photography ist häufig dokumentarisch und ihr wohnt eine gewisse Schnappschuss-Ästhetik inne. Durch ihren spontanen Charakter grenzt sie sich von anderen Formen der Fotografie, wie der inszenierten Fotografie ab (vgl. Walter, Christine. Bilder erzählen! – Postionen inszenierter Fotografie, s. 18. VDG, Weimar 2002).

Ist Street Photography Kunst?

Aufgrund des vermeintlich trivialen Entstehungsprozesses der Bilder in der Street Photography liegt der Schluss nahe, diese Herangehensweise als bloßes „Draufdrücken“ abzutun. Dabei kommt in der Street Photography vielleicht mehr als bei anderen Arten der Photography eine ganz eigene Sichtweise des Fotografen auf die Welt und seine Subjekte zum Ausdruck. Hinzu kommt die Methode und Technik, die der Künstler wählt und den individuellen Stil prägen.

Natürlich gibt der Street-Fotograf, mehr als andere, das Ergebnis seiner Arbeit in die Hände des Zufalls. Das Bild ist nicht planbar – genauso wenig wie das Leben planbar ist. Trotzdem wird die individuelle Handschrift des Fotografen in seinen Werken sichtbar. Diese findet vor allem in Auswahlprozessen ihren Ausdruck. Diese Auswahl findet zwei Mal statt. Vor und während der Entstehung des Bildes auf der Film- oder Sensorebene der Kamera (was zeichnet der der Fotograf wie auf) und später im Auswahlprozess der entwickelten Aufnahmen für das endgültige Werk.

Aber ist Street Photography Kunst im rechtlichen Sinne? Die deutsche Wikipedia definiert ein Werk im Sinne des Urheberrechts übrigens folgendermaßen:

  1. Es muss eine persönliche Schöpfung des Urhebers vorliegen.
  2. Sie muss einen geistigen Gehalt haben.
  3. Sie muss eine wahrnehmbare Formgestaltung aufweisen.
  4. Es muss in ihr die Individualität des Urhebers zum Ausdruck kommen.

Vorrangig entscheidend ist Punkt vier, die Individualität des Urhebers. Erfüllt die Street Photography diesen Punkt?

Beispielhaft sei als prominentes Beispiel der britische Fotograf Martin Parr genannt. Seine Technik lässt sich kopieren. Man kann ebenfalls die Orte seines Schaffens aufsuchen und wird dort die selben Subjekte finden. Seine Sichtweise und die Bilder, die daraus resultieren wird man nicht kopieren können. Das ist sie, die Kunst.

In dem folgenden Video könnt Ihr Parr bei der Arbeit für eine Serie übe Australien über die Schulter schauen. Er äußert sich auch zum Foto-Kunstmarkt, (u.a. über die Rekordpreise, die Andreas Gursky mit dem Verkauf seiner Werke erzielt).

Ist Street Photography illegal?

Nimmt man die in Deutschland geltende Rechtsauffassung als Grundlage, dürfte die Street Photography als Kunstform in Deutschland nicht existieren. Denn grundsätzlich ist es hierzulande verboten, ohne Einwilligung der abgebildeten Personen, Aufnahmen zu erstellen oder gar zu verwerten. Zur Klärung der rechtlichen Fragen wird deswegen in der Regel ein schriftliches Model-Release angefertigt, in welchem der Fotografierte dem Fotografen diese Rechte einräumt.

Dies ist übrigens nicht überall auf der Welt so. Das Recht am eigenen Bild ist in Deutschland auf besondere Art und Weise ausgeprägt. Dies hat historisch bemerkenswerte Gründe.

Das entsprechende Gesetz wurde 1907 verabschiedet. Dies passierte angeblich als Antwort auf einen neuartiges Rechtsproblem. Ein Foto von Otto von Bismarck auf seinem Todesbett wurde von den Fotografen Max Priester und Willy Wilke angefertigt. Um das Bild zu erstellen, drangen die beiden, illegaler Weise, in das Schloss Friedrichsruh ein. Die Familie Bismarcks konnte die Veröffentlichung verhindern, jedoch konnten die Ersteller der Aufnahmen nicht belangt werden, es gab schlichtweg noch kein Gesetz, das dies ermöglicht hätte. Schließlich wurden die Fotografen wegen Hausfriedensbruchs verurteilt.

Seit der Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes ist das Abbild einer Person bis zu 10 Jahre über den Tod hinaus geschützt. Das Recht am eigenen Bild ist Teil des Kunsturhebergesetzes, der Bürger wird „zum Autor und Eigentümer seines Erscheinungsbildes“, dessen Kopie ein Fotograf anfertigt (s. McLean, David. frieze d/e – Winter 2011-12. Bild und Recht. Frieze Publishing GmbH, 2011).

Der Street-Fotograf ist also in einem Dilemma. Entweder er holt sich im Vorhinein die schriftliche Erlaubnis ein und ist so auf der sicheren Seite oder fotografiert ungefragt. Es fällt nicht schwer sich auszumalen, was ersteres für die spontane und ungestellte Aufnahme einer Szene bedeutet. Selbst wenn er sich im Nachhinein die Rechte in Form eines Model-Release einholt, ist die Situation noch nicht rechtlich unbedenklich. In früheren Zeiten wäre die Aufnahme unproblematisch gewesen, bis sie veröffentlicht worden wäre. In Zeiten digitaler Sensoren scheint die Rechtsprechung jedoch noch rigider.

Die Vorstellung, von jedem spontan aufgenommenen Subjekt eine schriftliche Erklärung einzuholen ist natürlich vollkommen utopisch. Die analoge Fotografie erschwert Dinge zusätzlich, da eine spontane Kontrolle der Aufnahme nicht möglich ist. Das Einzige, was dem Fotografen bleibt, ist also, die Rechtslage zu ignorieren oder sich auf eine Ausnahme der Rechtsprechung zu berufen. Denn es gibt nicht wenige Ausnahmeregelungen, die das Recht am eigenen Bild einschränken. Eine gute Übersicht zum Thema findet man bei photoscala. Eine dieser Ausnahmen ist die Erstellung von Bildnissen, deren Verbreitung einem höheren Interesse der Kunst dienen. Hier greift die im Grundgesetz verankerte Kunstfreiheit, sofern das Bild in einer künstlerischen Art und Weise aufgenommen und verbreitet wird. In meinen Augen fällt die Street Photography in diesen Bereich.

Wie spontane Straßenfotografie trotzdem – auch rechtlich einwandfrei – möglich ist, zeigt Michael Malke von fotomonat.de in einem Artikel zum Thema. Einige der gezeigten Aufnahmen sind gut, jedoch zeigen sie auch, wie beschränkt de Fotograf ist. Mit klassischer Street Photography haben diese Bilder nur noch wenig zu tun.

Die Lage ist verzwickt. Das verdeutlicht das Interview mit Guido Steenkamp, Mitglied des Street-Photography Kollektivs second2real, im bei Kwerfeldein. Ohne die Einwilligung der Abgebildeten bewegen sich die Fotografen stets in einer rechtlichen Grauzone:

„Mir persönlich ist jedoch kein (Street-)Fotograf bekannt, der sich vor oder nach einer Aufnahme ein schriftliches O.K. geben ließe. „(Guido Steenkamp, seconds2real)

Das es anders geht, zeigt das Beispiel der USA. Hier ist es erlaubt alles und jeden zu Fotografieren inklusive anschliessender Veröffentlichung, so lange keine Sicherheitsinteressen berührt werden. Der öffentliche Raum ist hier tatsächlich noch öffentlich.

Paradoxe Fotografiefeindlichkeit

Nicht nur die Rechtsprechung erschwert die Street Photography, auch ein Großteil (der nicht fotografie-affinen) Öffentlichkeit scheint diese Art der Fotografie abzulehnen, zumindest wenn es um das eigene Bildnis geht. Sogenannte Candid Photography in Galerien und Ausstellungen wird hingegen gefeiert, siehe z.B. Chris Markes Serie Passengers, versteckte Aufnahmen von Menschen in der Pariser U-Bahn, beim diesjährigen Rencontres.

Interessanter Weise besteht auf der einen Seite ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Fotografie, auf der anderen findet eine unbeschreibliche Entblößung des Privaten in der Öffentlichkeit statt. Die Bildbranche boomt, es werden täglich Bilder millionenfach auf Bilderdienste hochgeladen, für jeden zum Anschauen. Wir bilden unser gesamtes Leben in den sozialen Netzwerken ab. An allen Orten der Öffentlichkeit werden Überwachungskameras installiert, die unsere Bewegungen durch den Alltag lückenlos aufzeichnen und im Nachhinein dokumentieren können.

Eine widersprüchliche Situation. Wir bewundern Street Photography in Galerien, Zeitschriften und Blogs, haben aber eine ungeheure Angst davor, in der Öffentlichkeit fotografiert zu werden. Anderswo – im Netz – geben wir dann die Kontrolle über unsere Bilder willentlich auf.

Warum ein neues Verhältnis zur Fotografie nötig ist

Beides, schwierige Rechtsprechung und öffentliche Ablehnung, führt dazu, dass die Street Photography in Deutschland erschwert wird. Das ist schade. Der Fotografie als Medium, dass die Welt um uns herum dokumentiert, ordnet und kommentiert, kommt in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle zu. Besonders die Dokumentar-Fotografie und die Street-Photography im Besonderen halte ich für wichtig, weil sie unser Leben und unseren Alltag, in all seinen Facetten aufzeichnet – ohne, dass es dafür einen akuten Anlass gäbe.

Ohne diese Zeugnisse der Zeit, könnte es uns in 20, 30, 40 Jahren schwer fallen, unser damaliges Leben zu verstehen. Heute schätzen wir wichtige Zeitdokumente wie Udo Hesses Als noch Osten war oder Roger Melis‘ In einem stillen Land als unerlässliche Verbindung zu vergangenen Zeiten.

Deswegen wünsche ich mir, dass jeder, ob nun online, in Foren/Blogs oder auf der Straße, mit mehr Verständnis auf Street-Fotografen reagieren würde, damit wir in Zukunft nachvollziehen können, wie wir heute gelebt haben.

Was denkst Du über die Rahmenbedingungen für Street Photography in Deutschland? Lass es mich in den Kommentaren wissen.

Der Autor

Till ist Fotograf, Blogger und Betreiber dieses Blogs. Sein Interesse gilt der Dokumentarfotografie, insbesondere klassischer Streetphotography, dem New Color Movement und dokumentarischer Landschaftsfotografie.