Es ist Sommer 2012. Wie jedes Jahr Anfang Juli, findet das »Les Rencontres d’Arles« Fotofestival statt. Während der Eröffnungswoche des Festivals werde ich hier meine Eindrücke schildern.
Okay. Jetzt also ein, für mich, völlig neues Format auf dem Blog – »live blogging«. Naja, quasi jedenfalls. Ich befindet mich auf dem Foto-Festival in Arles und die Zeit möchte ich auch für den Blog nutzen. Das bedeutet für mich zwar etwas Aufwand jeden Abend, erspart mir aber die eher mühselige Aufbereitung des Festivals im Anschluss. Was wird Euch also die nächsten Tage auf mittleresgrau.de erwarten? Ich werde versuchen, meine Endrücke der Veranstaltung zu schildern: Wie ist die Atmosphäre? Welche Ausstellungen haben mich berührt, überrascht oder begeistert? Und was geht sonst so neben dem Festival?
Wenn Ihr das hier lest und noch in Deutschland seid, werdet Ihr es wahrscheinlich nicht mehr zur Eröffnungswoche schaffen, aber noch bis in den September habt Ihr die Möglichkeit, die Ausstellungen zu besuchen. Wie das Programm in diesem Jahr aussieht, erfahrt Ihr übrigens in dem Artikel zu dem Thema.
Prolog
Gestern bin ich in Arles angekommen und habe eine kurze Reise hinter mir. In wenigen Stunden ist man aus dem verregneten Hannover im sonnigen Marseille gelandet. Wer keine Lust auf das Fliegen hat, für den bietet sich übrigens der TGV von Frankfurt nach Marseille an. Die Fahrt dauert gar nicht so langem wie man denkt. Leider war mein Ticket schon gebucht, als der Startschuss für diese Strecke fiel.
Heute ist Samstag und die Stadt zeigt sich in größter Normalität. Die Sonne knallt und deutsche, amerikanische und japanische Reisegruppen schieben sich hier und dort durch die engen Gassen der Stadt. Sie alle eint der Fotoapparat, der am Handgelenk baumelt, der Schlapphut auf dem Kopf und die obligatorische Altherren-Sandale. Nur wenig lässt sich erahnen davon, dass innerhalb der nächsten sieben Tage eine Meute fotografiehungriger Menschen einfallen wird. Ihr Erkennungszeichen ist die vor der Brust baumelnde Leica.
Erste Vorboten sind Festival-Aufsteller, die von eifrigen Helfern in Position gebracht werden und eine Gruppe Magnum Fotografen, die sich am Place du Forum sammelt. Wohl nur in Arles begegnet man auf dem morgendlichen Weg zum Bäcker nacheinander Bruce Gilden, Thomas Höpcker und Rene Burri. Jetzt sind es noch zwei Tage bis zur Eröffnung des Festivals. Die Zeit bis dahin lässt sich gut damit vertrödeln, in seinem Lieblingscafe zu sitzen und im Festival-Katalog zu stöbern.
Noch ein Tag bis zum Festival und Vera Lutter in Nîmes
Heute trat ein, was ich in vier Provence-Sommern in Folge nicht erlebt hatte: Es regnete. Kein kurzer, lauer Sommerregen. Nein, es regnete den ganzen Tag. Es regnet noch immer und wird wohl auch die ganze Nacht durchregnen.
Für die Arlésienne stellt das Tief eine willkommene Abkühlung dar. Während die Einheimischen rauchend in den Hauseingängen dem Sturzbächen zuschauen, die von den überlaufenden Regenrinnen laufen, huschen unerschrockene Touristen mit aufgespannten Regenschirmen vorbei.
Ich nutzte den Tag, um der Stadt Nîmes einen Besuch abzustatten. Dort regnete es natürlich auch nicht weniger als in Arles. Die Straße waren menschenleer und die Geschäfte geschlossen (heute ist Sonntag). Nach einem kurzen Blick auf die Sehenswürdigkeiten, flüchtete ich in das Museum für Moderne Kunst, dem Carré d’Art. Ein keines, aber feines Museum, von Norman Foster gestaltet, gegenüber dem historischen Maison Carrée.
Erfreut stellte ich fest, dass nicht nur der Eintritt frei war, sondern zur Zeit auch eine Ausstellung der Künstlerin Vera Lutter gezeigt wird. Diese setzt eine Camera Obscura in der Größe eines Containers ein, um riesige fotografische schwarz-weiß Negative zu erstellen, die direkt auf Silbergelatine-Papier belichtet werden. Die daraus resultierenden, einzigartigen Prints werden zu Installationen zusammengefasst. Lutter portraitiert u.a. Industrielandschaften und -ruinen und erstellte Belichtungen in Venedig und, von ihrem Atelier aus, der Wolkenkratzer New Yorks. Die Aufnahmen, die mit Belichtungszeiten von mehreren Stunden bis Monaten entstanden sind, hinterfragen den Begriff der Zeit in der Dokumentarfotografie.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 16. September. Mehr Infos zur Ausstellung bekommt Ihr auf der Museums-Website.
Nebenan, auf dem Place Du Forum jubeln in diesem Moment die Anhänger der spanischen Fußball-Nationalmannschaft, die gerade die Europameisterschaft gewonnen hat (Arles besitzt eine große spanisch stämmige Bevölkerung).
Tag 1 und der Besuch erster Ausstellungen – Josef Koudelka u.a.
Heute um 10 Uhr öffneten die Ticket-Büros. Zeitgleich stand ich in der Schlange mit Vertretern der etablierten Presse vor dem Festival-Büro, um die »accréditation badge« abzuholen. Danach stand die schwere Entscheidung an, welche Ausstellungen man zu erst anschaut. Bei 60 Ausstellung muss der Besuch wohl geplant sein. Von den fünf Ausstellungen, die ich heute besuchte, möchte ich Euch drei genauer vorstellen.
Die Ausstellung, die bei den Rencontres vielleicht für das größte Aufsehen sorgt, ist Josef Koudelkas Serie »Gypsies«. Die Ausstellung in Arles umfasst neue Drucke der Serie, sowie original Prints Koudelkas aus dem Jahr 1966. Die kontrastreichen schwarz-weiß Aufnahmen zeigen die marginalisierten Roma in einfühlsamer Art und Weise. Sie sind, wie auch in dem Foto-Buch, ohne Untertitel. Dadurch, können sie ihre Kraft ohne Ablenkung auf den Betrachter, ungestört entfalten. Das Buch zur Serie, das 1975 nach Koudelkas Flucht aus der Tschechoslowakei bei Delpire erschien, wurde 2011, anhand eines ursprünglichen Dummys, neu zusammen gestellt. Die Ausstellung illustriert die Geschichte des Buchs anhand von original Dokumenten.
Die Arbeit der Fotografin Alexandra Cartiere entstand während eines dreimonatigen Aufenthalts in Chalon-sur-Saône am Musée Nicéphore-Niépce. Ermöglicht wurde die Arbeit durch ein Stipendiums von BMW Art & Culture. Die Fotografin nutzte die Zeit, um die Stadt und ihre Bewohner mithilfe unterschiedlicher Kameras und fotografischer Techniken zu portraitieren. Dabei ließ sich Cartiere durch die Stadt treiben, ohne eine bestimmte Idee eines Bildes vor Augen. Der Ergebnis ist eine persönliche, genre-übegreifende Essay in ästhetischen schwarz-weiß Aufnahmen.
Die besten Ausstellungen sind oft, diejenigen, von denen man im Vorfeld keine klare Vorstellung hat. So ging es mir heute mit Gregoire Alexandre. Zwar war mir seine Arbeit schon vage aus einer alten Ausgabe der Photonews bekannt, damals übersah ich sie allerdings. Daher wurde ich positiv überrascht. Der Fotograf erstellt Bilder, die auf den ersten Blick wie gewöhnliche Mode- oder Still-Life-Fotografien erscheinen. Schaut man jedoch genauer hin, entdeckt man die Kreativität, die durch den Ausbruch aus den Restriktionen der Studiofotografie freigesetzt wird. Hier werden die normalerweise unsichtbaren Hilfsmittel wie z.B. Stative, Schirme und Hintergründe zu Subjekten vor der Kamera. Die Fotomodelle interagieren mit den installationsartig arrangierten Gegenständen und Studio-Landschaften. Alexandre zitiert die Bildsprache der Studiofotografie, dort hören die Gemeinsamkeiten mit der kommerziellen Fotografie jedoch auf. Die Bilder sind visuell ansprechend und konzeptionell komplex zugleich.
Tag 2 – Paolo Woods, die Alinari Archive, Dokumentarfotografie und Magnum
Tag 2 der Rencontres. Gleich um die Ecke, im schattigen Innenhof des Hotel d’Arlatan, hat einer der Hauptsponsoren, Olympus, sein Lager aufgeschlagen. Hier finden Konferenzen und Vorträge statt. Heute kam der Fotograf Paolo Woods, um seine derzeitige Arbeit vorzustellen. Woods wohnt seit November 2010 in Haiti und führt dort ein langzeit Projekt durch, bei dem er das Leben der Bevölkerung nach dem verherrenden Erdbeben aufzeichnet. Er versteht sich nicht als Fotojournalist, sondern eher als Dokumentarist. Das entspricht auch seinen Bildern, die nicht dem Tagesgeschehen unterworfen sind. Er erstellt Portraits, mit dem Blick für die Details, die das Wesen der Person ausmachen und ihre Rolle in der Gesellschaft. Während er von seiner Arbeit erzählte, kreisten Prints aus der aktuellen Serie durch das Publikum. Anfassen war erlaubt, allerdings nur für diejenigen, die vorher Baumwollhandschuhe angezogen hatten.
Gleich danach stand die Führung mit dem Kuratur Christophe Bertut durch die Archive der Alinari Foundation an. Das Fotostudio Fratelli Alinari kann auf eine 160 jährige Geschichte zurückblicken und ist heute eine fotografische Sammlung. Angesichts der riesigen Masse an Fotografien im Archiv (mehrere hundertausend), versteht man die Entscheidung des Kurators, einen unerwartbaren Weg bei der Auswahl und Präsentation der Fotografien, die aus dem Bereich der angewandten Fotografie stammten, zu wählen. Statt die Bilder anhand bestimmter Themengebiete, wie Landschaften, Portraits etc. auszuwählen und zu arrangieren, entschied er sich dazu, mehrere Geschichten mit den Bildern zu erzählen, die er mit Hilfe eines Tarot-Kartensets erstellte. Man merkte dem Kurator quasi den Stress an, dem ihm die Aufgabe bereitet hat und das Herzblut, dass er in die Zusammenstellung der Bilder gesteckt hat, war bewundernswert. Deswegen war, unabhängih davon, dass ich mit der Herangehensweise nicht so viel anfangen konnte, die Führung dennoch interessant.
Die nächste Führung ging durch die Ausstellung Documents towards alternative Information. Hinter der Ausstellung mit dem eher sperrigen Namen verbarg sich eine Sammlung aktueller Positionen von ENSP-Absolventen (der Fotoschule in Arles), die im Bereich der Dokumentarfotografie arbeiten.
Danach ging es zu einer Podiumsdiskussion unterschiedlicher Magnum Fotografen. Die Agentur hält erstmals ihre Jahresversammlung während der Rencontres in Arles ab. Die Diskussion drehte sich vor allem um die Rolle von Magnum in der sich verändernden Medienwelt.
Magnum bestimmt auch weiterhin das Geschehen auf dem Festival. Zum Screening am heutigen Abend im Theatre Antiques werden 20 Magnum Fotografen der Agentur von ihren Anfängen erzählen. Die Veranstaltung steht für mich heute Abend auf dem Programm.
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